Praktikum bei den Straßenkindern in Timisoara

COPII DE STRADA - Straßenkinder

| Hintergrund | Das Programm | Eindrücke | Resümee |

 
STRASSENKINDER | Hintergrund

Die ersten Assoziationen, die ich in Bezug meines Praktikums in Rumänien hatte, waren Straßenkinder und Kinderheime! Straßenkinder sind ein bekanntes soziales Problem in Rumänien. Bis heute gehören Kinder in Rumänien zu den Opfern des Ceausescu- Regimes.

Ceausescu hatte den Plan, die rumänische Bevölkerung bis zum Jahre 2000 zu verdoppeln und hatte so seinem Volk die Fruchtbarkeit praktisch befohlen. Abtreibungen vor der Geburt des fünften Kindes waren verboten. Kaum jemand konnte jedoch eine so große Familie unter den Bedingungen des ausbeuterischen Regimes ernähren. So wurden viele Neugeborene einfach ausgesetzt. Es kamen auch viele behinderte Kinder zur Welt, nachdem Mütter versucht hatten, ihre Föten mit Medikamenten und Drähten abzutöten.

Die Folge daraus war, dass viele Kinder auf der Straße oder in Heimen, die Ceausescu errichten ließ, landeten. Mit dem Sturz des Regimes kam jedoch die Wahrheit ans Licht. Nach der Revolution 1989 wurde dann in Bukarest und Temesvar eine Erscheinung bemerkbar, die es eben bisher nicht sichtbar gab: Straßenkinder.

In Temesvar wird derzeit (Stand von März 2001) von den verschiedenen Behörden (Jugendamt, Sozialamt, Polizei) die Zahl der Straßenkinder auf 250 angegeben. Eine genaue Schätzung ist sicherlich schwer zu ermitteln, da die Straßenkinder irgendwie doch eine Gruppe sind, die im Verborgenen leben und schwer zu erreichen sind. Auch in den Institutionen, die eigentlich hauptsächlich Straßenkinder unterstützen wollen, bleiben diese meistens aus, wie ich zu meiner Verwunderung selbst feststellen musste. Das Nachtasyl oder der Mittagstisch sind eigentlich vorwiegend Einrichtungen, die für Straßenkinder gedacht sind, jedoch im Sommer kaum in Anspruch genommen werden. Meine erste Begegnung mit Straßenkindern hatte ich erst in der zweiten Hälfte meiner Praktikumzeit auf einem Marktplatz.

Es ist sehr schwer zu den copii de strada Kontakt aufzunehmen. Sie bilden eine eigene Familie, die zusammenhält. Die Größeren achten auf die Kleineren. Ihre Wohnungen sind die Kanäle von Temesvar. Es heißt, nur Vertraute und Journalisten haben Zugang zu den Kanälen. Man hat uns gesagt, die Hilfe und Unterstützung wird deshalb nicht angenommen, da in Institutionen immer Regeln und Verpflichtungen herrschen, die befolgt werden müssen. Straßenkinder wollen "frei sein" und haben anscheinend Schwierigkeiten damit sich auch an ein Minimum an Regeln zu halten. Sie kommen eben vorwiegend bei Schlechtwetter und im Winter, um wenigstens eine warme Mahlzeit und einen sicheren Schlafplatz zu haben. Die meisten von den Kindern leben auf der Straße, weil sie von Heimen, aus einer noch trostloseren Lebenssituation, weggelaufen sind oder aber auch vor ihrer Familie geflüchtet sind. Alkohol, Gewalt und sexueller Missbrauch gehören oft zum Alltag des Familienlebens, aus dem die Kinder flüchten.

Ab der Mitte unseres Praktikums bekam ich die Möglichkeit bei einer Straßenkinderbetreuung von einer Organisation dabei zu sein und mitzuhelfen. Drei mal in der Woche fand in den Räumlichkeiten des Nachtasyl "Pater Jordan Haus" eine Betreuung für Straßenkinder statt.Dies ist jedoch kein Projekt der Caritas Temesvar, sondern eines International Teams (IT). Das Nachtasyl wurde von Pater Berno zur Verfügung gestellt, da es tagsüber ja leer steht.


Tagesbetreuung für Straßenkinder: eine warme Mahlzeit

IT (= international teams) ist eine religiöse Organisation, die weltweit soziale Projekte betreut. Sie schickt ihre Mitarbeiter in kleinen Teams in verschiedenste Länder. Insgesamt hat IT 450 Mitglieder aus 24 verschiedenen Ländern. Die Mitarbeiter sind in gewisserweise Missionare, die soziale Arbeit auf religiöser Basis leisten. Die Organisation IT ist keiner der anerkannten christlichen Religionen zu zuordnen, sondern ähnelt in ihrem Verständnis von Religion den bei uns bekannten Freikirchen. 5 Mitarbeiter aus Rumänien und Amerika betreuen dieses Projekt.

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STRASSENKINDER | Das Programm

Das Programm läuft folgend ab: Zu Beginn werden immer eine halbe Stunde religiöse Lieder gesungen. Danach gibt es eine Bibelstunde. Anschließend werden die Kinder in Gruppen geteilt. Man versucht den Kindern ein Minimum an Bildung, wie lesen, schreiben und rechnen beizubringen und dabei auf ihre individuellen Kenntnisse einzugehen, wobei dies sehr schwierig ist. Einigen können etwas lesen, schreiben und rechnen, manche von ihnen haben sogar Englischkenntnisse, viele sind jedoch Analphabeten. Weiteres werden mit den Kindern verschiedene Spiele, wie Lego bauen und basteln, gespielt um praktische Aktivitäten zu fördern. Nach diesen Einheiten gibt es immer ein warmes Essen und die Kinder können duschen und bekommen auch Kleider. Nach der Reinigung der Räumlichkeiten gehen die Kinder zwischen 17.00 und 18.00 Uhr aus der Betreuung. Die Anzahl der zu betreuenden Kinder ist ganz unterschiedlich und variiert von 4 (im Sommer) bis 50 Kinder. Im Sommer wurden auch schon Wanderungen und Camps in den Bergen organisiert. Ganz im Sinne von Erlebnispädagogik.


Unterricht mit Dana und Andrea Thonhauser
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STRASSENKINDER | Eindrücke

Als ich das erstemal bei dieser Betreuung dabei war, war ich sehr betroffen. Der Anblick, der sich bot, war schockierend. Die meisten Straßenkinder sind in sehr schlechter körperlicher Verfassung. Sie sind stark unterernährt und wirken sehr erschöpft. Das kleinste Kind, das in die Betreuung kam, war 5 Jahre alt.

Viele Kinder sind nicht fähig der Bibelstunde zu folgen, da sie meist von der Droge Auro-Lack und Hunger so geschwächt sind, dass sie auf dem Fliesenboden einschlafen. Trotzdem sind fast alle Kinder sehr religiös. Besonders berührend war es für mich zu sehen, wie ein Jugendlicher, mit tätowiertem Oberkörper, der sich selber "Pitbull" nannte, ganz vertieft in einer Kinderbibel blätterte und mich fragte, ob Jesus denn nicht wunderschön aussehe.

Nach der anstrengenden Lernstunde können sich die Kinder beim Spielen erholen. Während der Spielstunde wird mit dem Duschen begonnen. Anhand einer Liste werden die Kinder geholt, sie bekommen Haarshampoo und Duschgel sowie ein Handtuch (insofern eines vorhanden ist). Nach der Dusche bekommen sie neue Kleidung und die Schmutzwäsche wird gewaschen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass meist zuwenig Kleidung vorhanden ist und auch kaum in den passenden Größen. Gürtel um zu große Hosen oben zu halten, gibt es auch nie, darum behilft man sich mit Stricken und dergleichen. Am meisten wurden aber Schuhe benötigt, da es davon nur sehr wenige gab. Denn seit kurzem ist es ja verboten, gebrauchte Schuhe und Unterwäsche nach Rumänien zu importieren.

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STRASSENKINDER | Resümee

Die Arbeit mit den Straßenkindern gefiel mir ganz besonders gut. Auch wenn es sehr schockierend, berührend und oft auch einfach nur traurig war. Ich konnte es nicht glauben, dass es wirklich 5 jährige Kinder gibt, die ein Leben auf der Straße führen. Denke ich da an die Tageskinder meiner Mutter, so lernen die im selben Alter meist erst, selbständig die Toilette zu benutzen. Viele der Kinder sind abhängig und nehmen die Droge Auro-Lack. Dieser wird in Plastiksäcke abgefüllt und eingeatmet. Auro-Lack bewirkt Rauschzustände und ruft ein Glücksgefühl hervor. So entfliehen die Kinder zumindest einen Augenblick lang der tristen Wirklichkeit. Zudem betäubt die Droge auch die Sinne und Schmerzen werden nicht wahrgenommen. So kommt es, dass sich viele Kinder gerade unter Drogeneinfluss schneiden und selber verletzen.

Um dem Problem der Straßenkinder Herr zu werden, hat die Stadt Temesvar Regelungen getroffen. So wurden die Kanaldeckel so umgebaut, dass die Kinder nicht mehr in die Kanäle absteigen konnten, die ihnen Unterschlupf bieten. Aber keine bauliche Veränderung konnte sie davon abhalten und sie fanden immer Mittel und Wege um in die Kanäle zu kommen. Genauso wenig brachte das Gesetz eine Besserung, welches den Händlern verbietet, Auro-Lack an Kinder zu verkaufen, die keinen Ausweis besitzen. Dies wurde deshalb beschlossen, da kaum ein Straßenkind Dokumente oder einen Ausweis besitzt.

Verwundert hat mich, dass mir die Abgrenzung zu den Kindern so gut gelang. Aber wahrscheinlich war diese Abgrenzung als Selbstschutz notwendig. Eine zu enge Bindung an die Kinder wäre zu schmerzlich gewesen und in dieser kurzen Zeit auch gar nicht zustande gekommen. Denn auch wenn sich die Kinder von jedem Aufmerksamkeit und Zuwendung holen, der bereit ist, sie ihnen zu geben, so bauen sie trotzdem nur ganz schwer und erst nach einer sehr langen Zeit eine Beziehung zu jemandem auf. Schon zu oft haben sie Beziehungsabbrüche und schwere Enttäuschungen erleben müssen, als dass sie jemandem leichtfertig noch einmal Vertrauen schenken würden. Sie wollten zwar ständig umarmt werden und wollten, dass man sich mit ihnen beschäftigt, aber dies stand nicht im Zusammenhang mit mir selber, denn ich als Person war austauschbar. Dadurch fiel auch mir die Abgrenzung wesentlich leichter.

Ich finde, dass das Straßenkinderprojekt von IT ist eine bewundernswerte wichtige Arbeit ist, die unbedingt weiterhin gefördert werden sollte!

 
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