Praktikum bei den Straßenkindern in Timisoara

Bilanz
Mein Praktikum in Temesvar war einfach eine unglaubliche Erfahrung für mich. Ich habe Eindrücke gesammelt und Erfahrungen gemacht, nicht nur hinsichtlich meiner Ausbildung in der Sozialarbeit, sondern auch für mich ganz persönlich. So war diese Praktikum ein wichtiger Schritt für mich, den ich sicherlich nicht vergessen werde.

Andrea Thonhauser mit zwei Kleinen. M. wurde ein Tumor hinter dem rechten Auge diagnostiziert.

Trotzdem war ich sehr froh, dass ich nicht alleine in Temesvar war, sondern gemeinsam mit meiner Kollegin. Gerade wenn man so viele neue Eindrücke sammelt, ist es wichtig jemanden zu haben, mit dem man sich austauschen kann. Auch wenn alle Mitarbeiter vor Ort sehr nett und aufgeschlossen waren und sich sehr um uns bemühten, hätte ich mit ihnen meine Eindrücke und Gefühle, die gewisse Situationen hervorriefen, nicht besprechen können. Denn sie selber sind es nicht gewöhnt, über belastende Erlebnisse zu sprechen und gemeinsam darüber zu reflektieren, obwohl es gerade bei der Arbeit, die sie leisten, immens wichtig wäre.

Mir selbst ist während dieses Praktikums vor allem klar geworden, in welchem Wohlstand und Luxus wir eigentlich leben. Oft genug habe ich unsere Wohlstandsgesellschaft sehr stark in Frage gestellt. Denn so arm dieses Land Rumänien auch ist, so bin ich immer unglaublicher Gastfreundschaft und Herzlichkeit begegnet und habe wirklich außergewöhnliche Menschen kennen gelernt! Tief beeindruckt hat mich vor allem die Gläubigkeit der Menschen. Glaube, Religion und die damit verbundene Gemeinschaft waren zentrale Elemente, welche mir immer wieder begegnet sind. Sowohl von Seiten der Armen, die wirklich nichts haben und im Glauben wohl eine Quelle der Kraft sehen, als auch die Menschen, die in der Sozialarbeit tätig sind (hier ist natürlich zu berücksichtigen, dass ich vorwiegend in kirchlich, karitativen Institutionen Einblick hatte.

Hier sehe ich zwischen unserer Sozialarbeit und der sozialen Arbeit dort einen gewaltigen Unterschied. Es gibt ein großes Spannungsverhältnis zwischen Professionalität und karitativer Hilfe! In Rumänien wird noch "Sozialarbeit pur" betrieben. Das heißt vielleicht, dass sie nicht so professionell ist, wie bei uns, dass es noch keine Evaluierung oder Punktebewertungssysteme gibt und dass die Grenze zwischen Beruf und Freizeit vielleicht zu oft verschwimmt. Aber die Menschen stehen noch mehr als Menschen im Mittelpunkt des Handelns, und nicht als Klienten oder Kunden. Die Sozialassistenten, die ich kennen gelernt habe, verstanden ihre Arbeit nicht nur als Beruf, sondern auch als Berufung. Ich möchte jetzt nicht den Eindruck erwecken, ich schwelge im sogenannten "Helfersyndrom". Ich weiß, wie wichtig eine gut fundierte Ausbildung ist sowie professionelle Arbeit ist, darüber darf man aber nicht aus den Augen verlieren, dass Sozialarbeit immer eine Arbeit von Menschen mit Menschen ist. Gerade in diesem Semester der Ausbildung wird seitens der Vortragenden sehr viel Wert darauf gelegt, dass Professionalität Abgrenzung, die nötige Distanz wahren, Ziele definieren und erfüllen, ... bedeutet. Dies ist für mich AUCH Professionalität, aber nicht nur. Professionell sein bedeutet z.B. für mich, nicht nur die nötige Distanz zu wahren, sondern auch die nötige Nähe zu gewähren...

Sozialarbeit ist keine Arbeit, die nach vorgeschriebenen Rezepten oder Anleitungen funktioniert oder sich durch Punktesysteme reglementieren lässt, sondern ist aufgrund ihrer Flexibilität und individuellen Arbeitsweise so effizient. Und sie sollte immer mit einer inneren Einstellung ausgefüllt sein, da sie sonst fadenscheinig und leer wird.

So entwickelt sich bei uns die Sozialarbeit in Richtung Privatisierung und vor allem die Professionalität steht an oberster Stelle. Dies wird auch sehr stark in unseren Unterrichtsgegenständen immer wieder bestätigt und unterstrichen. Sozialarbeit muss sich darstellen und präsentieren können um in unserem System "salonfähig" zu sein und überleben zu können. Abwanderungen vom Non-Profit-Bereich in den Profit-Bereich sind sehr stark gegeben. Erfolg muss nachgewiesen werden. Dazu gibt es dann Konzepte, bei denen der Klient in ein Punktesystem eingeteilt wird, um den Erfolg zu messen ,da die Kostenfrage einen wesentlichen und zentralen Punkt darstellt. Ohne Erfolg keine finanziellen Mittel! So ist eine professionelle Beziehung zwischen Sozialarbeiter und Klient eine aufrechte, reziproke Beziehung, während eine "mildtätige" Beziehung uns als einseitig und daher nicht professionell beschrieben wurde- so laut einer Lehrveranstaltung im Unterricht!

Die Sichtweise, die mir in Rumänien von diversen Sozialarbeitern dargelegt wurde, war jedoch eine vollkommen andere, wenn nicht eine genau gegenteilige, was für mich persönlich sehr interessant war. So wird die soziale Arbeit nicht als Profession gesehen, die an Stunden oder anderen Normen gebunden ist, sondern als etwas, das als Überzeugung und aus einem Gauben heraus geschieht und deshalb als Berufung angesehen wird.

Natürlich sind bei diesen unterschiedlichen Entwicklungen die wirtschaftliche Position, die soziale Situation und vor allem die Geschichte, die ja völlig unterschiedlich verlaufen sind, zu berücksichtigen.

Trotzdem - so meine ich persönlich - sollten wir unsere Entwicklung kritisch hinterfragen, denn auch ein so armes und niedrig entwickeltes Land wie Rumänien kann und sollte uns durchaus zum Nachdenken bringen! So finde ich nun, nach diesem Praktikum, dass Entwicklungshilfe nicht eine einseitige Hilfestellung ist, sondern ein gegenseitiges voneinander Lernen. Mein Praktikum dort ist an mir sicher nicht spurlos vorübergegangen, sondern hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen und auch meine Interessen im Bereich der Entwicklungshilfe und Entwicklungsarbeit verstärkt

 
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