Rumänisches Tagebuch
Gernot Haupt

Freitag, 17. 8. 2007 | Samstag, 18. 08. 2007 | Sonntag, 19. 08. 2007
Montag, 20. 08. 2007 | Dienstag, 21. 08. 2007 | Mittwoch, 22. 08. 2007
 
Montag, 20. 8. 2007
Nach dem Frühstück drucke ich auf dem Computer von Doina noch den Interviewleitfaden für meine Gespräche in P. aus und mache mich dann auf den Weg. Bei der OMV-Tankstelle, die jetzt zwar wieder PETROM heißt, aber immer noch dasselbe Layout und denselben Viva-Markt hat, tanke ich den Liter Diesel um 3,02 Lei, was umgerechnet ca. 1 Euro ausmacht. In P. erwarten mich Frau B. und C. und Frau K. bereits. Zuerst werden Fragen zur Tagesstätte besprochen, es ist noch unklar, ob B. die Leitung der Tagesstätte übernehmen wird, wenn ja möchte C. die Arbeit in unserem Projekt alleine weitermachen, was ich für keine optimale Lösung halte, oder sie werden in der Tagesstätte beide halb angestellt und können die andere Hälfte weiter in unserem Projekt arbeiten, das ist noch offen.
Bald kommt ein Pensionist, der mein erster Gesprächspartner wird. Anschließend kommt eine Frau, die eine Berufsunfähigkeitspension beantragen will, weil nach 17 Jahren Arbeit ihre Wirbelsäule nicht mehr mitmacht. Nach ihrer Kündigung in der Hutfabrik ist sie nicht sozialversichert. Auch Sie wird eine Gesprächspartnerin und C. stellt inzwischen die Formulare aus. Anschließend besuchen wir noch ein junges Mädchen, 24 Jahre alt, die aber wie 17 wirkt, sie hat 3 Kinder und wartet, dass sie zu ihrer Schwester nach Österreich ziehen kann. Diese ist mit einem Österreicher verheiratet, er wollte ihnen ein Geschäft im Ort als Existenzgrundlage schaffen, aber da sie nie in der Schule war, kann sie keine Arbeitsbewilligung bekommen. Das Haus, in dem sie nun interimistisch wohnt, wurde vom Österreicher hergerichtet, hat verfliesten Boden, eine neue Küche, ein Badezimmer mit großer dreieckiger Badewanne, ein Schlafzimmer mit einem Ehebett, in dem nun während ihrer Abwesenheit die beiden Schwestern und die 3 Kinder schlafen, und ein Wohnzimmer, das noch nicht ganz fertig eingerichtet ist. Die Satellitenschüssel versteht sich von selbst.
Schließlich besuchen wir noch einen alten Mann, 72 Jahre alt, der sich noch an Antonescu erinnern kann und an die Vertreibung der Grundbesitzer unter den Kommunisten. Sein Onkel wurde dabei zu Tode geprügelt, sie haben alle Besitzurkunden dabei verloren und führen seit Jahren erfolglos einen Prozess zur Rückerstattung ihrer Felder und Geräte, die ihnen damals enteignet wurden.
Wir vereinbaren für Dienstag, 15:00 Uhr ein nächstes Treffen mit weiteren Gesprächen und ich besuche im Anschluss noch A. Sie ist nicht zu Hause, aber Nachbarn machen mich darauf aufmerksam, dass sie in der Nähe auf Besuch ist. Eine andere Nachbarin geht sie für mich holen und ich warte inzwischen auf einer Bank an der Straße neben einem älteren Herrn, der – wie sich herausstellt – auch deutsch kann und von 2 Wochen einen Schlaganfall hatte und dessen rechte Hand nun gelähmt ist. Wir unterhalten uns, welche Verwandten in Österreich und welche in Monte Carlo leben, dann kommt auch schon A. und erzählt, dass sie auf Trauerbesuch war, da ein junger Mann bei Arbeiten an der Maros – das ist der Fluss ganz in der Nähe – in den Stromkreis geraten ist und dabei getötet wurde.
Sie ist immer noch mit dem Fahrrad unterwegs und ich kündige mich über sie für Dienstag nach dem Abendgottesdienst beim Pfarrer an. Auf dem Rückweg schaue ich noch bei der BILLA-Filiale in Timisoara vorbei, dort kostet das billigste Brot 1,07 Lei. Eine vermeintliche Abkürzung kostet mich aufgrund neuer Einbahnregelungen einen großen Umweg, so komme ich auch beim Nachtasyl vorbei. Dort warten schon einige Kinder und Jugendliche auf den Einlass. 10 Meter weiter stockt der Verkehr, denn ein Fahrzeug steht mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf der Fahrbahn. Es ist kein Dacia mit Panne, sondern ein knallroter Ferrari Testarossa, er hat auch keine Panne, sondern der Fahrer lässt sich von den Passanten bewundern. Er hat ein Kennzeichen aus Timisoara. So nahe liegen verschiedene Welten nebeneinander.
 
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